Der Einmarsch der Timberwölfe am 14. April 1945!
Dieses historische Ereignis ist wohl das Wichtigste in der jüngeren Geschichte Deutschlands. Seit der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker
vom 8.Mai 1985 kennen endlich alle deutschen Einwohner dessen Bedeutung. Wie unspektakulär verlief dagegen unsere Befreiung in Schraplau.
Die 104. Division, mit dem Namen Timberwölfe, war dafür verantwortlich. Im Vorfeld des militärischen Vorstoßes nach Schraplau kam es zu Kämpfen im Harz. Dabei spielte die Einnahme von Nordhausen und des KZ Dora eine entscheidende Rolle. Was die amerikanischen Soldaten dort vorfanden, kann man nicht beschreiben, man muss die Bilder selbst sehen. Die Kampfmoral der Timberwölfe litt nicht darunter, sondern spornte sie an, weiter ostwärts Richtung Halle zu ziehen. Zur gleichen Zeit war die Situation in Schraplau sehr angespannt. Die Stadt und die Kalkindustrie hatten noch keine Bombardierung erlebt. Alles war unzerstört. Bei den Einwohnern sah es anders aus. Fast jede Familie trauerte um ihre Gefallenen oder Bombenopfern.
Die Stadt war voller Evakuierter aus dem Westen und Flüchtlinge aus dem Osten. Dazu kamen die verwundeten Soldaten, die in den Schraplauer Hilfslazaretts versorgt wurden. Besonders aufmerksam verfolgten die sogenannten Fremdarbeiter auf den Gütern und die Kriegsgefangenen im Kalkwerk den Vormarsch der Alliierten. Die Schraplauer Nazis befolgten den Führerbefehl und stellten einen Volkssturm auf. Diese Gegenwehr löste sich zum Glück auf und der Einmarsch der Timberwölfe erfolgte ohne jede Kampfhandlung. Die Disziplin der Amerikaner war vorbildlich – trotz des Horrors im KZ Dora. Alle deutschen Wehrmachtsangehörigen, männliche und weibliche, wurden in den nächsten Tagen verhaftet und meist nach Helfta verbracht. Das riesige Gefangenenlager war nur das Vorspiel zu rheinländischen Lagern.
Am 14. April 1945 war es dann soweit. Von Farnstedt über Alberstedt rollten die Wölfe Richtung Schraplau. Das Wetter war bestens und deshalb konnten die Feldwege dazu herhalten. Nach den gepanzerten Aufklärungsfahrzeugen folgte ein Kamerawagen der 104. Division. Deshalb ist der Einmarsch perfekt dokumentiert. Diesen Film konnte der MDR ausstrahlen und 2006 auch im Kultur und Heimatverein Schraplau gezeigt werden. Schon in Alberstedt waren die Straßen von Menschen gesäumt. Bekannte Gesichter entdeckte man, aber auch ein verwundeter deutscher Soldat lag auf dem Fußweg.
Die Schraplauer Kastanienallee war ebenso voller Menschen. Alle jubelten und grüßten die amerikanischen Soldaten. Das waren viele weibliche Zwangsarbeiterinnen und uniformierte Kriegsgefangene. Überall blühten die Bäume. Dreihundert Meter weiter unten, Richtung Stadt, war die Begeisterung weniger groß. Dazu der Augenzeugenbericht von Margarete König, Tochter von Otto König, Bäckermeister in Schraplau, Querfurterstr. 23:
Am 14. April. Die Menschen stauten sich vor unserem Laden, so etwas haben wir noch nicht miterlebt. Fast ganz Schrappel will Brot bei uns, heiß noch, geht es reißend weg. Man schafft es kaum, sie zu backen Die Menschen werden nicht alle, wir verkaufen das letzte Mehl noch. Da – es ist gegen Mittag – schreien die Leute: „Die Amerikaner kommen!“ Ich sehe aus dem Fenster, die Leute rennen durcheinander und mit einem Getöse rollen die schweren amerikanischen Panzer in Schraplau ein. Wir staunen und bleiben ruhig, aber die Knochen zittern einem doch. Und gegen diese Übermacht sollten wir mit unseren paar Panzerfäusten ankommen? Nein, niemals hätten wir das jetzt noch geschafft. Riesengroße Panzer, über und über mit Soldaten, vor allen Neger, mit schussbereiten Gewehren besetzt. Wir starren sie an. Neger hatten wir noch nie gesehen. Es sieht doch grausam aus. Unser Haus erzittert von dem schweren Getöse und Gerassel der Panzer. Vor unserem Haus halten sie ruckartig an, Neger springen ab und laufen die Straße entlang. Sie haben einen Soldaten erblickt. Dann folgen Filmwagen und die Umgebung wird gefilmt, auch wir mit. Doch kein Schuß fällt, die Amerikaner sind friedlich. Die sammeln sich an und im Nu steht der Platz schwarz voll Menschen. Ich sitze im Fenster, die Angst ist vorbei, denn Schraplau wird nicht mehr verteidigt. Hunderte von Panzern rollen nun hier durch, es nimmt kein Ende. Infanterie folgt, auf Autos gesessen. Die Amerikaner kauen fast alle, der Kaugummi muß bei ihnen sehr beliebt sein. Sie werfen den Leuten Schokolade und Zigaretten auf die Straße. So geht es noch fast den ganzen Samstag Panzer auf Panzer, Auto auf Auto rollen an uns vorüber.
Die erste Kontaktaufnahme mit den Timberwölfen unternahm aber kein Schraplauer, sondern ein Kölscher Junge. Joseph (Jupp) Scheuer (13), ein Evakuierter aus Köln, konnte Englisch und hatte keine Scheu. Er wohnte bei Biertümpels in der Querfurterstr. 22.
Weitere umfangreiche Informationen über den Verlauf der Schraplauer Befreiung durch die Timberwölfe können in der Dokumentation „Zeitzeugen berichten von 1914 bis 1950“ beim Kultur- und Heimatverein Schraplau e.V. eingesehen werden.
Witt/Leipzig/Schraplau